Die Leichtigkeit des Seins oder das Streben nach dem Glück
Die Leichtigkeit des Seins ist eine Zustandsbeschreibung, mit der die erste Publikation über Corinna Zieleke bei ArtForum Studio Editions die Besonderheit ihres ephemeren Werkschaffens beschreibt. Gleichzeitig ist es eine Formulierung, die geradezu inflationär und unbedacht von sehr vielen Künstler:innen als bezeichnend für deren Werkschaffen gewählt wurde. Das Flüchtige und Vergängliche bildhaft zu erfassen ist tatsächlich eine schwierige Aufgabe, die auch nicht jedem/r Künstler:in gelingt. Während meist ds Ergebnis nicht über den Versuch hinausgeht, gelingt es Corinna Zieleke in Ihren Gemälden und Grafiken Ansichten, Erinnerungen und Vorstellungen im kurzen Augenblick der Wahrnehmung gestalterisch zu erfassen. Sie zielt auf den Moment einer bruchstückhaften subjektiven Erinnerung. Dies setzt ein meditatives Empfinden voraus, auch unabhängig vom Gedächtnis. Sie bringt sich dabei mit ihrer ganzen Persönlichkeit ein, um einen mentalen Zustand frei von Bedürfnissen, frei von Wünschen und Zwängen zu schaffen.
Das Streben nach dem Glück, mit dem Ziel von Zufriedenheit und Ausgeglichenheit, ist für die Künstlerin ein Weg frei von vordergründigen Emotionen und damit auch frei von Leid. In diesem Sinne sind Ihre Werke auch als Einladungen an Betrachter:innen zu verstehen, es ihr gleich zu tun bzw. ihren eigenen seelischen Zustand auszuloten.
Das Erkennen des Wahren, des Authentischen
Einfach sein, einfach leben, das klingt nach Gelassenheit, geistiger Weite, nach einer Existenz, die Freiheit in der Beschränkung sucht. Die Leichtigkeit des Sein ist jedoch ein Zustand, der nicht leicht zu erkennen und kaum zu erreichen ist. Zunächst verliert der Mensch auf dem Weg dorthin möglicherweise die Balance, denn Orientierungshilfen stehen nicht mehr in gewohntem Maße zur Verfügung. Die Realitäten des Alltags verhindern nur allzu oft einen Zustand der Ausgeglichenheit. Verlangen und Lust, Anspruchsdenken und Ansprüche der Anderen behindern den Weg zur inneren Ruhe. Das Wesentliche zu sehen setzt zu allererst Selbsterkenntnis voraus. Askese, Reduktion auf Einfaches und das Erkennen des Wahren, des Authentischen - diese Leitlinien erwachsen aus uns selbst, denn sie ruhen verborgen bereits als Anlage in uns. Wir brauchen sie nur noch zu entdecken, bei unserem Streben nach dem Glück.
Corinna Zieleke hat sich über viele Jahre kontinuierlich mit der Visualisierung dieser Aufgabe beschäftigt und es gelingt ihr offensichtlich, Menschen beim Betrachten Ihrer Werke mit Ihrem Lebensgefühl zu berühren. Hilfreich ist sicherlich, dass sie eine der Künstler:innen ist, die die Erfahrungen ihres Lebens und eines Erstberufs kontinuierlich in die Leidenschaft des Kunstschaffens mit professionellem Anspruch überführt. Durch ihre psychologische Ausbildung und die langjährige therapeutische Arbeit sowie die Erfahrung mit kreativen Medien ist sie bereits vorgeprägt.
Die Künstlerin konzentriert sich bisher auf zwei unterschiedliche Ausdrucksweisen, denen beide gleichermaßen eine ephemere Leichtigkeit bis hin zur Transzendenz zu eigen ist. So schafft sie es in ihren kosmisch wirkenden Landschaftsempfindungen, die von der Verschmelzung des Seins im Augenblick des Unbewussten zeugen, ein Gefühl beim Anblick von naturgewaltigen Landschaften bildhaft zu vermitteln. Hierzu dienen ihr klassische Feinmalerei, aber insbesondere chemische Lösungen, mit denen sie dem Farbmaterial eine ganz besondere Form gibt mit Oberflächen von lavaesker Kraft.
In ihrer zweiten bisherigen Werkreihe, den "Schüttungen", unternimmt sie den Versuch die Transzendenz von Materie auszuloten. Der Begriff Schüttung bezeichnet dabei ein Verfahren in der Kunst, bei dem ein Kunstwerk durch absichts- und planvolle Schüttung bzw. Giessen eines Werkstoffs hergestellt wird. Einen theoretischen Bezugspunkt hat diese Technik in der Stilrichtung des Action Painting, der in den 1950er Jahren maßgeblich von Jackson Pollock entwickelt wurde.
Zeitgenössische Vergleiche bieten sich optisch u.a. zu Katharina Grosse an, ihre Intention geht jedoch eher in die entgegengesetzte Richtung. Denn Grosse schafft ähnliche visuelle Erscheinungen mittels Spritzpistole und erreicht dadurch nicht die ephemere Luzidität von Zieleke. Dennoch gibt es Schnittmengen: So ist Grosses Ziel die Erweiterung des Farbraums in den architektonischen Raum, während Zielekes Bilder sich andererseits mit der Eröffnung und Sichtbarmachung innerer Räume, psychischer Zustände beschäftigen. In Farbschüttungen manipuliert sie gezielt den zufälligen Farbverlauf und erreicht es hierdurch nahezu schwebende Zustände zu vermitteln, nicht unähnlich den Farbexperimenten von Wolfgang Tillmans auf dem Gebiet der Fotografie.
Für die Auseinandersetzung mit dem Fremdsein, mit Einsamkeit und der Suche nach der reinen Form schafft Zieleke tatsächlich eine eigene unverwechselbare Sprache. Die von ihr verwendete Technik gibt ihr die adäquate Möglichkeit einen Zustand der Ruhe zu erreichen, zu sich selbst zu finden. Sie versucht sich in experimentellen Kunsttechniken, verwendet klassische Ölfeinmalerei, sie experimentiert mit Farben und Beizen.
In ihren Gemälden gelingt es ihr, Erleben und Erfahrung genuin zu erweitern. Auf diese Weise lernt sie die materielle Welt als auch Seelenstände besser zu verstehen. Sie entwickelt ein Gespür dafür, Zwischenwelten richtiggehend zu sehen und das Unfassbare einer Vorstellung in Bilder zu fassen.
PM/LS
Die Winter Stiftung fördert das Schaffen der Künstlerin durch Publikationen und Ausstellungsbeiträge.